Leseprobe


An dieser Stelle möchte ich eine kleine Leseprobe einstellen. Sie ist aus dem zweiten Kapitel entnommen, in dem auf die Legende und die Überlieferungsgeschichte näher eingegangen wird:

. . . "Es gibt in Ägypten, im Delta, an dessen Spitze der Nilstrom sich spaltet, einen Landbezirk, genannt der saitische, dessen größte Stadt Sais ist, aus welcher auch der König Amasis stammte. Diese Stadt hat eine Schutzgöttin, in ägyptischer Sprache Neith, in hellenischer, wie jene sagen, Athene geheißen". 

Mit diesen Worten beginnt die Erzählung des Kritias. Während des letzten Aufblühen der ägyptischen Kultur war das Nildelta kulturelles und politisches Zentrum und Sais die Residenzstadt. Die Zeitepoche, während der sich Solon in Ägypten aufhielt, wird heute als “saitische Periode” (664 bis 525 v. Chr.) bezeichnet. Das Land am Nil konnte bereits in diesen Zeiten auf eine Jahrtausende alte wechselhafte Geschichte zurückblicken. Als hätten es die Ägypter geahnt, dass die Epoche der alten Pharaonen sich langsam dem Ende zuneigte, fand gerade in dieser Saitischen Periode eine Rückbesinnung auf alte Werte statt, die zuweilen recht skurrile Blüten trieb. Das Ritual des Totendienstes der Könige des alten Reiches wurde wieder aufgenommen, es wurden gelegentlich sogar Pyramiden wieder ausgebessert. Beamte schmückten sich mit Ämtertiteln des alten Reiches und der religiöse Kult wurde von auswärtigen und neuen Einflüssen gereinigt. Besonders die Priester bewahrten das Wissen um die lange Geschichte des Pharaonenreiches und auch sehr alte Texte wurden noch gelesen und bewahrt.

Die antike Stadt Sais liegt heute in Trümmern und Nilschlamm bedeckt die alten Säulenhallen und Tempel. Allerdings rückt das Nildelta immer mehr in das Blickfeld der Archäologen und auch Sais (heute Sa el-Hagar) selbst ist in den letzten Jahren zum Ziel von Grabungskampagnen geworden. Den Tempel der Stadtgöttin Neith, deren Kult die Priester, mit denen Solon sprach, wahrscheinlich angehörten, vermutet man bei Kom Farray, nördlich von Sa el-Hagar. Bereits vor über 150 Jahren lokalisierten Wilkinson und Champollion den Tempel in der südlichen Hälfte einer noch heute sichtbaren, annähernd rechteckigen etwa 0,5km² großen Einfriedung. Champollion verfasste sogar einen Plan der damals noch sichtbaren Gebäude einschließlich des Tempels. Heute ist nichts mehr davon aufzufinden. Wahrscheinlich erlitten die Monumente das Schicksal vieler Ägyptischer Altertümer und wurden als Steinbruch benutzt.   


Irgendwo um weit dieses Tempels könnte das Gespräch zwischen Solon und den Priestern stattgefunden haben. Während seiner Unterhaltung mit den ägyptischen Priestern erkennt Solon, dass die Priester uralte Überlieferungen bewahrten, von denen ein gelehrter Grieche nur träumen konnte. Um den Priestern dieses Wissen zu entlocken, fängt er an, von den ältesten Überlieferungen der Griechen zu erzählen. Die Reaktion folgt prompt:

". . . Da habe ein hoch bejahrter Priester gesagt: O Solon, Solon ! Ihr Hellenen bleibt doch immer Kinder, zum Greise aber bringt es kein Hellene. - Wieso ? Wie meinst du das ? Habe er, als er das hörte, gefragt. Jung in den Seelen, habe jener erwidert, seid ihr alle: denn ihr hegt in ihnen keine alte, auf altertümliche Erzählungen gegründete Meinung noch ein durch die Zeit ergrautes Wissen."


Der Priester beginnt, von großen Katastrophen zu erzählen, die die Erde immer wieder heimgesucht hätten. Sowohl durch Feuer als auch durch Wasser wären die Völker der Erde immer wieder bedroht worden. Auf diese Weise seien auch die schriftlichen Aufzeichnungen vernichtet worden und so hätten die Griechen von diesen Ereignissen keine Kunde. Nur die Ägypter wären von Sintflut und Feuer weitgehend verschont worden, daher hätten sich ihre alten Schriften erhalten. Der erstaunte Solon erfährt, dass in diesen Dokumenten auch von einem frühen Athen erzählt wurde, das sich mit einer geheimnisvollen Macht im Krieg befand:
 

". . . denn das Aufgezeichnete berichtet, wie eine große Heeresmacht dereinst euer Staat überwältigte, welche von dem Atlantischen Meere her übermütig gegen ganz Europa und Asien heranzog. Damals war nämlich dieses Meer schiffbar; denn vor dem Eingange, der, wie ihr sagt, die Säulen des Herakles heißt (die heutige Meerenge von Gibraltar), befand sich eine Insel, größer als Asien und Libyen zusammengenommen, von welcher den damals Reisenden der Zugang zu den übrigen Inseln, von diesen aber zu dem ganzen gegenüberliegenden, an jenem wahren Meere gelegenen Festland, offenstand."
 

Der Priester berichtet, dass diese Insel Atlantis eine große Heeresmacht aus sandte, um die Länder rund um das Mittelmeer zu unterwerfen. Das Atlantische Reich wurde von mehreren Königen regiert, die auch über „viele andere Inseln“ und über Teile des Festlandes herrschten. Ihr Einfluss reichte in Europa bis nach Tyrrhenien und in Libyen, das heutige Nordafrika, bis nach Ägypten. Athen stand bald alleine einem übermächtigen Gegner gegenüber und wurde von den übrigen Griechen alleine gelassen. In diesem kritischen Augenblick wendete sich das Blatt: Atlantis wurde geschlagen und die eroberten Länder wieder befreit.
Nun folgen die wohl bekanntesten Zeilen aus dem Bericht des Priesters:
 

"Indem aber in späterer Zeit gewaltige Erdbeben und Überschwemmungen eintraten, versank, indem nur ein schlimmer Tag und eine schlimme Nacht hereinbrach, eure Heeresmacht insgesamt und mit einem Male unter die Erde, und in gleicher Weise wurde auch die Insel Atlantis durch Versinken in das Meer den Augen entzogen. Dadurch ist auch das dortige Meer unbefahrbar und undurchforschbar geworden, weil der in geringer Tiefe befindliche Schlamm, den die untergehende Insel zurückließ, hinderlich wurde." . . .

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